Nachruf Otfried Nassauer

Wenn er anrief, dauerte es länger. Das neue Projekt war in der Regel komplex und die Problemlage dahinter war es auch. Wenn man meinte, etwas begriffen zu haben, machte Otfried klar, daß man viele andere Aspekte doch noch übersehen hatte. Er machte dies auf seine freundliche und sachkundige Art, die immer auch zum Dialog einlud.

Der NATO-Doppelbeschluß war, wie für so viele seiner Generation, das Fanal, sich angesichts dieser neuen Rüstungsspirale mit der Kriegsgefahr und den Chancen des Friedens in der Endphase des Kalten Krieges auseinanderzusetzen. Er gehörte sehr bald zu dem Kreis von Friedensforscher*innen, die Aufklärung und Wissen gegen den Zynismus der Macht setzten und nie den Glauben an eine friedvolle Lösung internationaler Beziehungen aufgegeben haben.

Dazu gehörte auch die Zusammenarbeit mit Militärs. So ging die Gründung des BITS (Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit) aus einem Zusammenschluss von Friedensforscher*innen und ehemaligen Militärs in Ost und West hervor, um nach der Vereinigung eine neue Chance der Konvergenz des Militärischen und der Rüstungskontrolle im neuen Deutschland umzusetzen.

Otfried tat dies, wie die vielen Nachrufe nun würdigend hervorheben, nicht nur mit Detailversessenheit und mit intellektueller Brillanz. Was ihn auch antrieb, war die Hoffnung und das Bestreben, auf die Politik im Sinne der atomaren Abrüstung und der internationalen zivilen Konfliktbearbeitung einzuwirken. Das verschaffte ihm auch in den Kreisen der Militärs im Umkreis der Bundeswehr Respekt und Anerkennung. Er war zeitweise in den 90er Jahren für die Bundearbeitsgemeinschaft ‚Frieden‘ der Grünen beratend tätig, später für die Linken, was weniger mit ihm als mit der friedenspolitischen Ausrichtung der Parteien zu tun hatte.  

Seine Initiative zur Aufdeckung der deutschen und US-amerikanischen Zusammenarbeit bei Rüstungsexporten nach Israel und dem Ausmaß und den Folgen der Lieferung der deutschen Dolphin-Unterseeboote nach Israel machte ihn auch in Friedenskreisen im Nahen Osten bekannt.

Seine Beharrlichkeit und seine Unabhängigkeit hatten auch ihren Preis, nicht nur für seine Gesundheit. Die Miete des BITS im Prenzlauer Berg war nicht mehr zu tragen, er lagerte sein sehr umfangreiches Archiv auf einen stillgelegten Flughafen in Finow aus.

Er starb mit 64 Jahren. Er wird uns fehlen, allen, denen Frieden und Menschenrechte mehr bedeuten als Schlagworte.

Marianne Zepp

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