Netanyahu – und in seinem Gefolge eine Mehrheit des israelischen Parlaments – hat für ein religiös-nationalistisches Projekt entschieden.
Christian Meier, seines Zeichens Korrespondent der konservativen Frankfurter Allgemeinen Zeitung, schreibt heute auf der ersten Seite:
„Im Innern wie nach außen hin präsentiert sich die Regierung als religiös-nationalistisches Projekt. Mit Blick auf den israelisch-palästinensischen Konflikt lässt sich die Ideologie, die einige der Koalitionspartner vertreten, als militaristischer jüdischer Suprematismus charakterisieren. Allen voran betrifft das die nationalreligiösen Politiker Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir. Sie haben lange verhandelt, um sich die gewünschten Zuständigkeiten zu sichern.
Nun erhält der Annexionsideologe Smotrich weitgehende Kontrolle über den Siedlungsbau, während der politische Pyromane Ben-Gvir so stark in die Arbeit der Polizei eingreifen darf wie kein Minister vor ihm.
Ben-Gvirs und Smotrichs Erfolg beruht auf wenigen, simplen Parolen. Im Mittelpunkt steht die Behauptung, die Juden würden von den Palästinensern an den Rand gedrängt – in Israel, aber auch in den besetzten Gebieten. Die Juden müssten wieder „Herren im eigenen Haus“ werden. Der Besen, mit dem dieses Haus ausgekehrt werden soll, ist eisern: Terroristen umstandslos erschießen, Soldaten vor Ermittlungen schützen, gegen Menschenrechtsorganisationen
vorgehen sind nur einige der Maßnahmen, die vorgeschlagen wurden, um sich gegen die Übernahme durch „die Araber“ und gegen deren Unterstützer zur Wehr zu setzen, allen voran gegen die EU.
Diese Umkehrung der Realität ist charakteristisch für Ben-Gvir und Smotrich. Sie bietet zugleich einen Schlüssel zum Verständnis ihres Erfolgs. Die israelische Gesellschaft ist von tiefen Gräben durchzogen, etwa zwischen Säkularen und Religiösen oder zwischen Israelis unterschiedlicher Herkunft. Hinzu kommt das seit 55 Jahren währende Besatzungsregime: Es hat die Israelis verhärtet und macht, wie selbst Regierungsmitarbeiter hinter vorgehaltener Hand zugeben, die Gesellschaft kaputt. Die Verbindung von Populismus und Fake News wirkt in
dieser Atmosphäre unwiderstehlich.“
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Der bekannte israelische Schriftsteller David Grossmann sieht angesichts solcher Perspektiven kaum eine Zukunft für das bisher existierende Israel, vielmehr ein politisches, moralisches und soziales Chaos, in das die Demokratie in Israel versinkt. – Dazu sein Beitrag in der Haaretz vom 28. Dezember 2022.
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und um 16:07 die diplomatische Ergänzung:
Bundeskanzler Scholz gratuliert dem Premierminister des Staates Israel, Benjamin Netanjahu
Pressemitteilung 392
Donnerstag, 29. Dezember 2022
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (BPA)
Sehr geehrter Herr Premierminister,
zu Ihrer Amtsübernahme als Premierminister des Staates Israel übermittle ich Ihnen meine besten Glückwünsche.
Israel und Deutschland verbindet eine besondere und enge Freundschaft. Diese Grundlage der partnerschaftlichen Zusammenarbeit unserer beiden Länder werden wir weiter pflegen.
Für die anstehenden Aufgaben wünsche ich Ihnen gutes Gelingen, eine glückliche Hand und viel Erfolg.
Mit freundlichen Grüßen
Olaf Scholz, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland